Was zurück bleibt ist Staub und Rauch. Es entstehen neue Sterne daraus, neue Welten.
Jedoch nicht für uns.
Ein typischer Freitagabend
am Jahresende, der letzte Freitagabend in dem Jahr, um genau zu sein. Alle sind
noch bei ihren Familien, nach dem Weihnachtsfest oder reisen irgendwo in der
Welt herum. Nichts steht an, der Himmel ist zu bewölkt für Sternenfotos, die
schlechten B-Movies auf Netflix führen auch zu keiner Besserung, also spielt
man mit dem Handy herum und bekommt plötzlich eine Nachricht:
„Die Welt geht
unter. Rette sich, wer kann.“
Riesige
Meteoriten, die als Feuerbälle vom Himmel fallen. Flutwellen. Eiseskälte.
Tornados, in denen Haie sind, ja richtig, Sharknados!
In schlechten
B-Movies findet sich immer eine semiwissenschaftliche Lösung für diese Probleme,
meistens durch den Einsatz von Atombomben und/oder Kettensägen. Und natürlich
irgendwelche muskelbepackten Protagonisten, ex-militärs oder superreiche
Genies.
Aber würden diese
Menschen, diese Helden, auch eine Lösung finden, wenn der Untergang einer völlig
anderen Natur ist?
Unser Protagonist
wacht eines Morgens auf und bemerkt, dass etwas anders ist. Er fühlt sich
leicht und er fühlt sich gut. Energiegeladen. Irgendwas in seinem Kopf sagt
ihm, dass er vorsichtig sein sollte, dass jetzt der Zeitpunkt ist einzugreifen.
Doch er ignoriert diese Stimme, er lässt sich von dieser neuen Energie
mitreißen. Es geht ihm gut. Deshalb wird er sicherlich auch mit der halben
Dosis seiner Medikamente klar kommen. Es geht ihm gut.
Als er sie sieht,
schlägt sein Herz schneller. Er möchte ihr sagen, was er empfindet, wie sehr er
sie mag, doch irgendwie kommt er nicht an sie heran. Seine Worte scheinen sie
wie durch ein kaputtes Funkgerät zu erreichen und klingen verzerrt, klingen
falsch.
Ich kann nicht gut reden. Das ist schon lange so. Wenn ich etwas sagen will, kommen immer genau die falschen Worte raus. Ich sage das Falsche oder sogar das Gegenteil. Wenn ich versuche, mich zu korrigieren, mache ich alles nur noch schlimmer, sodass ich zum Schluss selbst nicht mehr weiß, was ich eigentlich sagen wollte. Ich habe das Gefühl, als ob ich irgendwie zweigeteilt wäre und meine eine Hälfte der anderen nachjagte. In der Mitte steht ein dicker Pfeiler, um den ich mich rundherum jage. Mein eines Ich kennt die richtigen Worte, aber mein anderes kann es nicht einholen.
Haruki Murakami – Naokos Lächeln
Für unseren
Protagonisten wirkt es, als stünde er vor einer riesigen Maschine, voller Anzeigen,
Hebeln, Einstellrädchen, einer Tasse mit „pew pew“-Aufdruck und Lasern, viele
bunte Knöpfe und einer Tastatur, auf der er seine Eingaben machen soll. Doch
egal, was er auch eingibt, er schafft es niemals das herauszubekommen, was er
eigentlich sagen möchte.
Und plötzlich
streitet er sich mit Familie und Freunden, mit all denen, die er am meisten
liebt und die ihm am meisten bedeuten. Plötzlich wird der Held zum Bösewicht,
der Bruder zu einem Ungeheuer und der beste Freund zu etwas, das abgeschnitten
werden muss. Ein Tumor. Etwas Unansehnliches, dass keinen Platz mehr in dieser
Welt hat.
Unser Protagonist
wacht eines Morgens auf und bemerkt, dass etwas anders ist. Er fühlt sich
schlecht und vollkommen niedergeschlagen. Er erkennt, was passiert ist. Nimmt
seine Medikamente, sucht seinen Arzt auf. Er fällt in ein tiefes Loch, eines
von dem er gehofft hat, es niemals wieder zu sehen. Verzweifelt versucht er
sich an diejenigen zu klammern, von denen er Hilfe erhofft. Verzweifelt
versucht er wieder in sein altes Leben, in sein altes Ich zurückzufinden. Er
ist besessen von diesem Gedanken alles wieder gut zu machen, alles wieder
hinzubiegen. Und damit macht er vieles nur noch schlimmer.
Unser Protagonist
wacht eines Morgens auf und bemerkt, dass etwas anders ist. Die Luft riecht
anders, intensiver, die Welt hat mehr Farbe. Sein Verstand läuft wieder, nicht
auf Hochtouren, sondern genau richtig. Er schaut in den Spiegel und sieht
wieder sich selbst.
Als er sie sieht,
schlägt sein Herz schneller. Und er weiß, dass seine gesamte Welt gerade auseinander
bricht.
Also, wie hindert
man die Welt daran auseinander zu brechen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich
bin keiner dieser Superhelden, die Kettensägen schwingend durch die Stadt
laufen und Haie in der Mitte durchschneiden. Noch wüsste ich nicht, was eine
Kettensäge in diesem Fall groß helfen sollte.
Es sind
schreckliche Momente der Machtlosigkeit, wenn man am Strand sitzt und seinen
Worten zuhört, die verdreht und falsch in einem Singsang vorgetragen werden,
während man sich innerlich immer wieder und wieder zuruft, dass man damit
aufhören soll. Es ist schrecklich mit anzusehen, wie sich Menschen, die man so
nahe am Herzen trägt, immer weiter von einem entfernen, nein, wie irgendeine
verzerrte Version von einem selbst sie immer weiter von sich abstößt. Und man
sitzt da und schaut zu, aber es ist kein B-Movie, es ist das reale Leben, doch
kann man die Handlung in diesen Momenten genau so wenig beeinflussen, wie einen
Film. Machtlosigkeit und Kopfkino, aber nicht mit der klassischen Bedeutung.
Am Ende ist man
allein. Es bleibt zwar immer jemand zurück, auch wenn es nur die Familie ist,
die solche Sachen schon mehrmals durchgemacht hat. Aber in irgendeiner Weise
ist man dann doch allein, denn irgendjemanden verliert man immer.
Es ist gar nicht
so abwegig auf einer Atombombe in den Sonnenuntergang zu reiten und
anschließend am besten auch in die Sonne hinein, natürlich nur um sie wieder
anzukurbeln, damit die Erde nicht als Schneeball endet. Den Heldentod sterben.
Sieben Milliarden Menschen gerettet, darunter auch sie. Und sie schaut dann
hinauf zur Sonne und eine einsame Träne läuft ihre Wange hinunter. Schnitt.
Ende.
Stattdessen sitzt
unser Protagonist da und denkt sich, es ist das Beste so, so bestehe
schließlich keine Möglichkeit, sie nochmal zu verletzen. Ein letztes großes
Opfer, Heldentod, ihr zuliebe. Ist das die beste Lösung? Bruchstücke aufsammeln
und die Welt neu zusammenkleben? Wollten wir sie eigentlich nicht daran hindern
auseinander zu brechen?
Spulen wir alles
nochmal zurück, zurück zum Anfang.
Bevor wir loslegen, fragen wir erst einmal einige
Experten.
„Es wird immer die Gefahr einer Manischen Phase
bestehen, du solltest dich am besten von allem zurückhalten, was gefährlich
werden könnte, vielleicht lieber nochmal ein halbes Jahr ruhig angehen lassen,
als zu viel auf einmal zu verändern.“
Abgelehnt! Der Nächste!
„Das ist gut, dass du Wut empfindest ist etwas
sehr Positives. Es zeigt, dass du endlich deine eigenen Wünsche an erster
Stelle stellst. Mach weiter so!“
Und dann geht die Welt unter, abgelehnt! Nächster!
„Die Wahrscheinlichkeit für eine manische Episode
ist im Sommer am höchsten. Anschließend folgt eine postmanische Depression, die
sich über mehrere Monate hinwegziehen kann.“
Das klingt doch schonmal vielversprechend.
„Es ist keine Erkrankung, die allein bekämpft
werden kann. Es ist keine Erkrankung an sich, es hat auch viele positive
Seiten, deshalb ist dieses Wort falsch gewählt, doch belassen wir es dabei. Die
betroffene Person kann sich während einer Episode nicht selbstständig daraus
befreien. Andere Personen können ihr aber dabei helfen, vor allem solche, die
ihr nahe stehen.“
Und damit
schreiben wir das Skript neu:
Unser Protagonist
wacht eines Morgens auf und bemerkt, dass etwas anders ist. Er fühlt sich
leicht und er fühlt sich gut. Energiegeladen. Irgendwas in seinem Kopf sagt
ihm, dass er vorsichtig sein sollte, dass jetzt der Zeitpunkt ist einzugreifen.
Doch er ignoriert diese Stimme, er lässt sich von dieser neuen Energie
mitreißen. Es geht ihm gut. Deshalb wird er sicherlich auch mit der halben
Dosis seiner Medikamente klar kommen. Es geht ihm gut.
Als er sie sieht,
schlägt sein Herz schneller. Er möchte ihr sagen, was er empfindet, wie sehr er
sie mag, doch irgendwie kommt er nicht an sie heran. Seine Worte scheinen sie
wie durch ein kaputtes Funkgerät zu erreichen und klingen verzerrt, klingen
falsch.
„Irgendwas stimmt
nicht mit dir.“, sagt sie ihm. „Warum sagst du diese Sachen? Warum benimmst du
dich so?“
Wütendes
Gegenhalten von ihm, das keinen Sinn macht.
„Nimmst du deine
Medikamente?“
Jetzt hält er
inne. Er überlegt, schließlich sagt er: „Ja.“
Sie hakt nach,
fragt ihn, erneut was los ist, ob er sicher ist, dass alles gut ist. Bittet ihn
auch die restliche Medikation zu nehmen, diejenige, die für Notfälle gedacht
ist.
„Die benebeln
mich zu sehr.“, antwortet er. Er fürchtet sich sichtlich davor.
„Mir zuliebe?“,
sagt sie.
Und das tut er
dann. Lässt sich angemessen behandeln und nach drei Wochen ist er wieder der
alte, im Gegensatz zu drei Monaten. Und seine Welt ist immer noch ganz. Er
dankt ihr, so oft und ist glücklich, dass er doch noch all die Sachen mit ihr
erleben kann, die sie geplant hatten und noch so viele andere mehr. Die
Kettensäge hängt er sich als Andenken an die Wand.
Ende.
Vielleicht
funktioniert das ja beim nächsten Mal, wenn die Welt wieder auseinander zu
brechen droht, jetzt ist es zu spät und das weiß er auch. Da hilft auch so ein
tolles B-Movie Skript nicht, alles wieder gut zu machen.