Lasst mich euch eine alte Freundin vorstellen.
Seitdem ich mich zurück erinnern kann war sie bei mir. Wir wuchsen gemeinsam
auf und entwickelten im Laufe der Zeit eine sehr enge Beziehung.
Am Anfang war es noch relativ einfach. Wir lernten
zusammen laufen und begaben uns auf unser erstes Abenteuer ohne Begleitung in
die Welt hinaus. Wir rannten gemeinsam vor Hunden weg und warfen zusammen
fasziniert Steine in einen dunklen Brunnen. Sie begleitete mich in den
Kindergarten und stand am Tag meiner Einschulung mitsamt Schultüte neben mir.
Es war selbstverständlich für mich sie so gut wie immer bei mir zu haben. Und sie nutzte auch jeden möglichen Augenblick um bei mir zu sein.
Ich lernte neue Leute kennen und wollte vieles mit ihnen unternehmen. Sie stellte sich dazwischen.
Ich wollte mich neu verlieben. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich nur ihr gehöre.
Es war selbstverständlich für mich sie so gut wie immer bei mir zu haben. Und sie nutzte auch jeden möglichen Augenblick um bei mir zu sein.
Ich lernte neue Leute kennen und wollte vieles mit ihnen unternehmen. Sie stellte sich dazwischen.
Ich wollte mich neu verlieben. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich nur ihr gehöre.
Als ich älter wurde begann ich sie anders
wahrzunehmen. Ich kann mich noch gut an diesen Sommer erinnern. Ich hatte
gerade mein erstes Buch mit Kurzgeschichten von Stephen King gekauft und wir
lagen zusammen auf meinem Bett und haben uns gegenseitig vorgelesen, als ich
das erste Mal meine Hand nach ihr ausstreckte und ihr die Haare aus dem Gesicht
strich. Und seit dem ließ sie mich nicht mehr los.
Ich verliebte mich das erste Mal mit ihr, hatte
meinen ersten Kuss mit ihr und auch alle anderen Küsse die nach diesem folgten.
Wir fingen einen Tanz an, der kein Ende zu haben schien und es war etwas
faszinierendes, auch wenn es nicht immer einfach war.
Doch dann änderte sie sich. Sie wurde hart und
abweisend. Hielt mich zurück und ließ mich kaum noch irgendwelche
Entscheidungen treffen. Wenn sie bei mir war, dann war ich wie gelähmt. Also
versuchte ich mich von ihr zu trennen. Ich suchte nach Möglichkeiten sie aus
meinem Kopf, ja sogar ganz aus meinem Leben zu verbannen. Doch nichts half.
Sie folgte mir überall hin.
Ich zog von Zuhause aus um zu studieren. Sie kam
mit.
Bei jedem Arztbesuch ist sie bei mir. Bei jeder
Prüfung sitzt sie einen Tisch hinter mir. Bei jeder kleinen Zugfahrt erblicke
ich sie ein paar Reihen weiter vorn. Wann immer ich denke, ich sei sie
losgeworden, taucht sie grinsend hinter der nächsten Ecke auf.
Und auch jetzt sitzt sie hier neben mir, während ich
diesen Text schreibe.
Ihr Name ist Angst.
Eine der schönsten Definitionen von Angst liefert
meiner Meinung nach der Großmeister der Angst schlechthin. Stephen King. Lest
einfach mal selbst:
„Die Sache ist da, und die meisten von uns kommen
früher oder später zu der Erkenntnis, womit wir es bei ihr zu tun haben: Es ist
die Gestalt eines Körpers unter einem Tuch. All unsere Ängste zusammen ergeben
zusammen die eine große Furcht, all unsere Ängste sind Teil dieser einen Furcht
- ein Arm, ein Bein, ein Finger, ein Ohr. Wir haben Angst vor dem Körper unter
dem Tuch, dieser stummen reglosen Gestalt. Es ist unser Körper.“
Und doch frage ich mich, ist es nur das? Beschränkt
sich unsere Angst tatsächlich nur auf unseren bevorstehenden Tod? Oder ist es
dann doch nicht ganz so einfach?
Ganz spontan fällt mir jetzt ein bestimmtes Ereignis
ein:
Mittwoch, 11:13 Uhr, München Hauptbahnhof
Ich stehe hier und schaue ungeduldig auf mein Handy.
Es ist ein recht kühler Tag im März und es zeigen sich schon die ersten
Symptome einer Lungenentzündung bei mir. Fieber. Meine Knie zittern, aber wegen
etwas ganz anderem.
An Gleis 3 fährt gerade ein Zug nach Zagreb ein und
plötzlich schrillt die Panik in meinem Kopf los. Einfach losrennen und in den
Zug springen. Einfach dieser Situation entfliehen.
Laut Herrn King müsste hier in dieser Situation mein
Leben auf dem Spiel stehen. Ein bevorstehender Terroranschlag, ein riesiges
Zugunglück oder aber irgendein menschenfressendes Ungeheuer, das gleich aus dem
Burger King gestürmt kommt.
Die Wirklichkeit ist noch viel schlimmer. Ich sollte
mich dort an diesem Tag mit einer Frau treffen.
Man merkt schnell, so einfach ist das mit der Angst
gar nicht. Ich jedenfalls konnte an diesem Tag keine Gefahr für mein Leben
bemerken. Und auch generell fürchte ich den Tod nicht unbedingt, sonst würde
ich ja letztendlich Angst vor dem Menschsein haben. Und dennoch hatte ich Angst.
Angst zu scheitern, Angst nicht akzeptiert zu
werden, Angst abgewiesen zu werden. Irgendwas davon zeigte sich auch an diesem
Tag, war ich doch in einer mir fast vollkommen fremden Stadt und traf diese
Frau, die ich kaum kannte, von der ich aber schon so viel Wunderbares erfahren
hatte.
Angst zeigt sich uns sehr facettenreich. So komplex
wie die Psyche eines Menschen ist, so komplex ist auch seine Angst. Sie bewahrt
uns oft davor etwas Dummes anzustellen, aber andererseits Lähmt sie uns auch in
Momenten, in denen wir eigentlich nichts zu fürchten haben sollte. Ich möchte
hier aber keine große Abhandlung darüber halten, was bei uns Angst auslöst oder
wie sie sich zeigt, sondern eher meine Beziehung zu meiner Angst hier etwas
darstellen.
Oft liest man Sachen wie „Das Leben beginnt dort, wo
die Angst aufhört“, doch ist es wirklich so? Muss ich tatsächlich meine Angst
ablegen um leben zu können? Ich habe es oft versucht. Habe versucht gegen meine
Angst anzukämpfen. Mal eben vom Zehnmeterbrett im Schwimmbad springen oder dem
Drang wiederstehen schnell wieder ins Zimmer zurück zu rennen, wenn man sich
nachts noch was aus der Küche geholt hat und durch die dunkle Wohnung muss. Aber
warum muss ich überhaupt dagegen ankämpfen?
Ich akzeptierte meine Angst, nahm sie auf und
umarmte sie. Von außen betrachtet änderte sich nicht viel. Man schlich früher
durch die Dunkelheit und tut es jetzt immer noch. Doch anstatt wie früher hart
an der Grenze zum Kreischen und Losrennen zu stehen, drehe ich mich jetzt
einfach mal um und genieße das Kribbeln, das einem über den Rücken läuft. Ich
setze mich auf den kalten Boden und warte. Warte, dass das Monster aus dem
Schatten springt, warte darauf zu sterben. Und nichts geschieht. Also stehe ich
auf und gehe weiter. Ist doch am Ende nicht eh das ganze Leben nur ein Warten
auf den Tod.
Während ich früher Momente gemieden habe, in denen
ich meine Angst bekämpfen muss um voran zu kommen, suche ich jetzt genau diese
Situationen auf und die Angst verfliegt von alleine.
Und plötzlich wird man noch für alles Belohnt und
hat meistens auch noch Spaß dabei. Es eröffnen sich einfach viele neue
Möglichkeiten die man sonst nicht ergriffen hätte, ganz nach dem Motto wer
nicht wagt, der nicht gewinnt.
Zurück nach München. Ich lief nicht weg. Ich wartete
auf sie und verbrachte dann auch den ganzen Tag mit ihr. Es führte zu dem
schönsten Sommer in meinem Leben und auch wenn es jetzt vorbei ist, bereue ich
keine einzige Sekunde dieser Zeit. Doch das ist etwas für einen anderen
Eintrag.
Die Angst. Sie kann uns lähmen, uns fesseln, kann
uns dazu bringen uns Jahre lang zuhause einzusperren und kaum Kontakt nach
außen zu haben. Doch sie ist nicht unser Feind. Sie ist ein Teil von uns. Ein
ewiger Begleiter durch unser Leben. Und sie kann auch unser bester Freund
werden. Ohne sie hätten Horrorfilme keinen Sinn. Ohne sie wären die ganzen
Stephen King Romane, die ich gelesen habe, nur halb so schön gewesen. Ohne sie
wäre ich vielleicht in einer besseren Position in meinem Leben, hätte
vielleicht schon lange die Uni abgeschlossen oder etwas ganz anderes getan, was
ich mich nie getraut habe. Aber ich würde sie dennoch nicht dagegen
eintauschen. Denn sie lässt mich nie im Stich. Sie ist immer da wenn ich nach
ihr rufe. Und sie legt sich jedes Mal neben mich ins Bett, wenn niemand anderes
da ist. Sie macht mich zu dem, der ich bin und deshalb bin ich froh sie zu
haben.
Und sie bewegt mich jetzt auch dazu diesen
Blogeintrag zu schreiben. Sie sitzt hier gerade neben mir, schlank und zierlich
und zittert ein bisschen. Sie will nicht, dass ich das hier tue. Sie versucht
alles um mich daran zu hindern diesen Text zu veröffentlichen. Es wirkt fast so
als hätte sie Angst vor mir und nicht umgekehrt.
Also schreibe ich jetzt.
Hallo Welt!
Enter.
Also schreibe ich jetzt.
Hallo Welt!
Enter.
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