Ich sitze im
Auto, auf dem Weg von Hamburg zurück nach Köln. Das Radio funktioniert nicht,
weil die vom Händler den Code mehrfach falsch eingegeben haben und eine erneute
Eingabe erst nach einer Stunde möglich ist. Zunächst lausche ich einfach dem
Brummen des Motors und den Geräuschen dieser Stadt, die bei geöffnetem Fenster
an mir vorbei rauschen. Auf der Autobahn schließe ich das Fenster, summe
Melodien, die mir durch den Kopf schwirren und singe schließlich einfach
selbst, um die dröhnende Stille zu übertönen. „Ku janë ato fusha, ku ato kaçuba;
Vajza të bukura, si n’vendin tim kund nuk ka“, singe ich gemeinsam mit Muharrem
Qena und anschließend „Oh moj ti me sytë e zi, me shikime si rrufe, falmi sytë që më sheh, se po s’erdhe do te
vij.” ‘O du mit den schwarzen
Augen’, dieses klassische Albanische Schönheitsideal, das Sabri Fejzullahu
irgendwann in den späten 70ern oder Anfang der 80er besungen hat.
Als nächstes folgt “Kur të jesh mërzitur shumë“, ein Lied, das auf dem gleichnamigen
Gedicht von Dritero Agolli beruht und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass
ich plötzlich in der Poesie lande.
Fan Noli, Anës Lumenjve. „Arratisur, syrgjynosur, rraskapitur dhe katosur; po vajton pa funt, pa shpresë...”, frustriert tippe ich den Code ins Radio und wider Erwarten erwacht es zum Leben. Der erste Sender, nachdem ich den Suchlauf starte, ist das Deutschlandradio. Kultur. Ich will gerade weiter schalten, weil ich Musik brauche, als die Moderatorin plötzlich ein Wort spricht, dass mich mit dem Finger am Knopf innehalten lässt: „Albanien”.
Ein Land an der Schwelle zum EU-Beitritt. Die Verhandlungen dazu wären im Gange, doch verweist die Reporterin in dem Beitrag auf einen Kontrast hin, etwas, dass man in Europa nicht erwarten würde: Frauen, die dazu genötigt werden, ihre Kinder abzutreiben, nur weil sie ein Mädchen erwarten.
Der Druck auf diese Frauen gehe meist von der Familie des Mannes aus, oder vom Mann selbst. Die Frauen, seien meist nicht in der Lage sich zu widersetzen, müssten sonst die Familie verlassen und seien nicht in der Lage sich selbstständig zu versorgen. Die Männer wüchsen auf in diesem System und können sich nicht gegen die gesellschaftliche Norm stellen, würden dann als unmännlich gelten.
Also werden Mädchen abgetrieben, weil man einen Jungen braucht. Sogar bis zu dem Punkt, dass Frauen nach der 12. Schwangerschaftswoche irgendwelche Medikamente gegen Magenbeschwerden nehmen, um eine Fehlgeburt einzuleiten. Eine Abtreibung nach 12 Wochen wäre nach albanischem Recht illegal.
„Burrë” dieser idealisierte Begriff, der eben nicht nur ‚Mann‘ bedeuten, sondern auch so viel mehr in sich beinhalten soll. Er steht für Tapferkeit, Ehrenhaftigkeit und Tugendhaftigkeit. Jedenfalls wurde mir das immer so erzählt. Doch wie sieht die Realität davon gerade hier in Deutschland unter albanischen Männern aus?
„A po qin najsen?“ Ich war gerade mal 16 oder 17, saß auf der Rückbank direkt hinter meinem Vater, der uns zu einer Beerdigung fuhr, zu uns zugestiegen waren zwei Verwandte. Nach der Begrüßung beugte sich der, der mit mir hinten saß hinüber, er ist ungefähr zehn Jahre älter als ich, und stellte mir diese Frage, die übersetzt lautet: „Fickst du irgendwas?“
Hätte ich damals den Schneid und das Rückgrat besessen, die ich jetzt eine halbe Ewigkeit später habe, hätte ich wohl mit „Ja, deine Mutter“ geantwortet, aber damals habe ich es dabei belassen.
Studium, andere Stadt, unbekannte Menschen. Ich lernte einen anderen Studenten in der dortigen albanischen Moschee kennen. In der Straßenbahn, nachdem ich ihm erzählte, dass ich alleine wohne, fragte er mich, wie viele Frauen ich denn schon dort gehabt hätte. Quoten, die erfüllt werden müssen, statistische Erhebungen, die ihm wichtig waren, ich wunderte mich weshalb er mir diese Frage stellte, obwohl wir uns nicht mal ne halbe Stunde lang kannten. Ich sagte ihm, ich müsse die Kerben an meinem Bett zählen, die ich nach jeder erlegten Beute reinritze, und würde dann auf ihn zurückkommen.
Ein ganzes Buch
mit solchen Beispielen, könnte ich mit der Zeit füllen, in der ich in einem
Kiosk gearbeitet habe, dessen Besitzer Albaner war und der deswegen stark von
Albanern frequentiert wurde. Ich möchte nur ein Beispiel daraus nehmen:
Ich stehe hinter der Kasse, neben mir hinter der Theke sitzen noch der Sohn des
Besitzers mit einem Bauarbeiter. Die zwei könnten Brüder sein, denn neben ihrem
Aussehen und der Kleidung, gleichen sie sich darin, wie schmierig sie wirken. Es
hatte sich eine kleine Schlange gebildet und ich war gerade dabei einige Pakete
für einen Kunden einzuscannen, als ein junges Mädchen, mit einem Päckchen in
der Hand, hereinkam. Sofort verstummte das Gespräch der beiden Männer neben mir.
Lautstark verkündete der eine auf Albanisch, was er mit ihr anstellen würde und
der andere setzte mit ein, indem er sehr bildhaft beschrieb auf welche Weise er
welches Körperteil von ihr missbrauchen würde. Dabei schien sich keiner der
beiden daran zu stören, dass sie wahrscheinlich noch minderjährig war. Zudem
war sie albanisch, verstand jedes Wort, lief knallrot an, drehte sich um und floh
aus dem Laden.
Objektifizierung von Frauen, Klassische Rollenverteilungen, all das wurde in der Reportage als etwas unvorstellbares in der europäischen Gesellschaft dargestellt, etwas, dass es nur in dem tausende Kilometer weit entfernten Albanien geben könne.
Natürlich kann man jetzt damit argumentieren, dass solches Verhalten allgemein unter Männern verbreitet sei. Weiter kann man sagen, dass es eigentlich nur Machogehabe sei, harmlose Worte und dass keiner wirklich zu schaden komme dadurch. Ich habe alle möglichen Argumente schon gehört. Meist bemerke ich die unterschiede im Verhalten der anderen, sobald Dritte ins Spiel kommen.
Ich sitze mit
einem Freund in einem Café. Zwar kann ich mit ihm kaum über Kunst oder Kultur
reden, doch interessiert er sich auch für Wissenschaft und Technik und wenn uns
da die Gespräche ausgehen sollten, dann bleibt immer noch genug Politik übrig.
Ein weiterer Albaner stößt zu uns, lacht darüber, dass ich ihm nicht die Hand
schütteln will, weil wir immer noch Corona Bestimmungen haben. (Ich wurde in
dieser Zeit sehr oft ausgelacht deswegen, weil ich Angst hätte, der Virus nicht
echt sei etc. Auch so ein klassisches unmännliches Attribut, das Regeln
Befolgen. Deshalb benutzen echte albanische Männer auch keine Blinker in ihren
Audis und BMWs (echte albanische Männerautos).) So sitze ich also an dem Tisch,
links mein Freund, rechts der andere und langweile mich plötzlich, weil es in
dem Gespräch nur noch darum geht, sich mit seinen Habseligkeiten zu loben. Das
neueste Handy, das beste Auto und viele andere Superlative.
„Kqyr, kqyr!“ – „Schau, schau!“ Und dabei spüre ich noch, wie an meiner
Schulter gerüttelt wird. Ich habe kurz das Bild meines Neffen und meiner Nichte
vor Augen, wenn sie mir total begeistert etwas Neues zeigen wollen, was mir
nicht entgehen darf. Der eine im Stuhl umgedreht und der andere mit
ausgefahrenen Augen starren sie an, als sei sie ein weiteres dieser tollen
Objekte aus dem vorangehenden Gespräch. Sie sieht mich an und ich entgegne den
Blick einer Frau, eines Menschen, und schäme mich in dieser Situation zu sein.
Ein Großteil dieses Verhaltens ist Erziehung. Männer gelten als besser, als überlegen. Kritisiert man einen dieser Männer, dann sind sie sehr schnell angepisst, schneller noch, wenn sie tatsächlich Schuld an etwas haben sollten. Schuld eingestehen können ist auch eine Eigenschaft, die dem albanischen Ideal eines Mannes entsprechen sollte, doch hat ein solcher heutzutage einfach nie Schuld. Wie viele solcher Männer mir doch erzählt haben, wie sie ihre Frauen betrogen haben, wo man sich die besten Prostituierten (natürlich nutzen sie andere Wörter dafür) besorgen kann und welche Position denn letztlich die beste ist und was man tun muss um ihnen zu zeigen, wie toll man doch ist; den Prostituierten, nicht den Frauen daheim.
Pause. Einmal durchatmen. Der Titel dieses Textes stammt aus dem Film „Përrallë nga e kaluara“, eine Verfilmung der Komödie „14 vjeç dhëndërr“ von A. Z. Çajupi, aus dem Jahre 1987. Übersetzt lautet es „Männer arbeiten nicht, sonst lacht die Welt dich aus“ und ist die Antwort des 14-jährigen Gjinos auf die Aufforderung seiner doppelt so alten Ehefrau Marigona, ihr die Steine wegzuräumen, während sie das Feld pflügt. Und diese Motive ziehen sich durch den gesamten Film. Zum einen die Angst davor, wie das Umfeld, im Film als „bota“ – die Welt bezeichnet, über einen urteilt, zum anderen die klar strukturierten Geschlechterrollen, die vor allem von der Mutter an den Sohn weitergegeben werden. Schließlich ist er jetzt ein Mann.
Erziehung.
Ich sitze bei Verwandten, das leere Glas auf dem Tisch wird von den spielenden Kindern umgeworfen, also hebe ich es auf und gebe es dem ältesten Sohn, damit er es in die Küche bringen kann. Sofort protestiert die Großmutter, dass er das nicht machen dürfe, weil er ein Junge sei, also stehe ich selbst auf, bringe das Glas in die Küche (als Gast in einem albanischen Haushalt eine Todsünde) und sage ihr: „Gut, dass ich ein Mann bin.“
Erziehung.
„Meine Frau muss Jungfrau sein.“ Wie oft ich diese Worte schon gehört habe. „Ich finde es ekelhaft, wenn sie schon einen Mann gehabt hat.“ Meist importieren sie sich dann die Frauen aus der Heimat. Solche, die entsprechend in ihre Rollen hinein erzogen wurden. Haushalt schmeißen, Kinder gebären, dem Mann dienen. „Wie kannst du ohne Frau alleine leben, wer kocht für dich?“ Auch das höre ich oft.
Die Frau als Mutterersatz. Ich schätze mal, auch diese Männer sind niemals wirklich unabhängig. Ironisch, wo sie sich selbst doch als das Nonplusultra sehen.
Doch die Abhängigkeit vieler Frauen hier ist dann um Vieles extremer als hungern zu müssen, wenn der Partner nicht kochen sollte oder keine saubere Kleidung zum Tragen haben.
Gelegentlich übersetze ich für Albaner. Behördengänge, Arztbesuche, je nachdem was ansteht, versuche ich zu helfen, wenn ich kann. Die Abgründe, die sich einem dabei öffnen können, sind erschreckend.
Ein Mann erzählt mir bei einem Arztbesuch, dass seine Frau ihr Studium abbrechen musste, als sie ihn geheiratet hat. Die Frau, zehn Jahre jünger als er, ist vollkommen in sich zurückgezogen, spricht kaum, antwortet nur, wenn sie etwas gefragt wird. Sie leidet unter Depressionen, verlässt kaum das Haus und wenn, dann mit ihrem Mann. Sie sind miteinander glücklich und lieben sich, aber während er arbeitet, andere Menschen trifft und Freundschaften pflegt, hat sie nur ihn.
Anderer Arztbesuch. Ich erfahre ziemlich heftige Details über die Gesundheit dieser Frau, die kaum ein Wort Deutsch sprechen kann, obwohl sie schon lang genug hier gelebt hat, um ein Mädchen nach dem anderen zur Welt zu bringen. So lange, dass es medizinische bedenken gebe, einen weiteren Versuch zu starten, einen Jungen zu gebären.
Jungen braucht man. Denn nur Männer tragen den Familiennamen weiter und das Blut und was weiß ich noch, Ehre oder sowas bestimmt. Männer sind ja auch die einzigen, die Erben sollen. Frauen gehen aus dem Haus, sobald sie heiraten und gehören dann zu einer anderen Familie. Solche Sprüche darf man sich dann anhören.
Ein albanischer
Mann heiratet eine albanische Frau, die in Deutschland aufgewachsen ist. Er
verlässt die Heimat, zieht hierher, zeugt eine Tochter mit ihr. Sie leben
einige Jahre zusammen, er unterstützt seine Eltern in der Heimat, so wie es
viele hier tun, zweigeteilt, zwischen zwei Welten. Dann trennen sie sich. Ich
weiß die Gründe nicht, ich will da auch nicht spekulieren. Er heiratet erneut,
eine Frau aus der Heimat, bekommt zunächst einen Sohn, dann weitere. Seine
Tochter sieht er nicht mehr, stellt auch die Unterhaltszahlungen nach der
ersten Geburt ein. Die Frau sehe ich oft, vollbeladen mit Kinderwagen und
Kindern und eindeutig überfordert.
Als ich eines Tages vom Wandern mit einer Freundin zurück komme, klingelt vor
der Haustür mein Handy. „Hast du Bargeld bei dir? Kannst du meiner Frau
vielleicht 50€ vorbeibringen, weil ich jemanden ins Krankenhaus begleiten muss,
um seinen Onkel zu besuchen? Ich habe vergessen ihr Geld da zu lassen.“
Also tausche ich Wanderschuhe gegen Sneaker aus und mache mich auf dem Weg. Sie
öffnet die Haustür, der Kleinste klammert sich an ihr Bein. Eines dieser klassischen
Fotomotive. Ich gebe ihr das Geld, denke mir eigentlich nicht viel bei, weil es
jedem mal passieren kann, bis sie mich beschämt ansieht und mir etwas sagt, was
mich erst das Ausmaß der Situation realisieren lässt: „Meine Karte funktioniert
nicht.“ Wie auch, wenn sie wahrscheinlich gar nicht existiert.
Und so schafft man Abhängigkeit, wo keine zu sein braucht und Misstrauen, wo eigentlich das größte Vertrauen sein sollte. Und im Notfall? Soll die Frau dann Nachbarn belästigen, um den Kindern was zu essen oder ein Medikament bezahlen zu können?
Po bota? Es gibt auch viele Männer, die darunter leiden. Den Blick fortwährend nach außen gerichtet, immer darauf achten, was die Welt sagt, was die anderen machen. Verglichen wird oft unter Albanern. Mir scheint so, dass es nicht mal ums eigene Glück geht, sondern nur darum, nach außen hin zu zeigen, dass man besser ist, oder wenigstens mitziehen kann. Glücklich wirken. Und dann wird Druck ausgeübt. Der Schwiegervater kommt mit der Schwiegertochter nicht zurecht, also muss sich der Sohn von ihr trennen. Als Hure wird sie bezeichnet, Geschichten gesponnen, wie sie ihn betrogen hat. Und unter vier Augen erzählt er mir, wie sehr er sie noch liebt. Stattdessen importiert er einfach eine neue Frau. Die Eltern zufrieden stellen.
Auch ich habe
selbst oft genug zu hören bekommen, dass ich doch endlich heiraten solle. Wurde
dazu gedrängt irgendwelche Frauen zu treffen, die aus einem anderen Planeten zu
sein schienen und zu denen ich niemals Bezug finden konnte. Frauen, die im
Leben leider nur das als Erfüllung zu sehen scheinen: Heiraten, Kinder zeugen
und mehr auch nicht. „Ich lese gerne Bücher“, sagte mir mal eine und hat wohl
nicht erwartet, dass ich mit „welche?“ darauf antworte, denn sie konnte mir
nicht mal ein Lieblingsbuch nennen.
„E ki kohen.“ – Es ist Zeit. Das ist das häufigste Argument, abgesehen von
denen, die meinen ich bräuchte eine Haushälterin. Aber Zeit wofür eigentlich?
Vergisst man dabei nicht eigentlich etwas wesentliches, dass zwischen zwei
Menschen existieren sollte, die ein Leben miteinander verbringen wollen?
„Ich möchte endlich Enkelkinder.“ Und die hat meine Mutter auch. Die schönsten,
die ich mir jemals vorstellen könnte. Aber eben nicht vom einzigen Sohn.
Bota.
In meiner Welt sind einige erstaunliche Menschen. Solche, die nicht an diesen Strukturen haften wollen, an keinen Strukturen im Allgemeinen. Und von diesen Menschen durfte ich in letzter Zeit vermehrt einen Satz hören: „Das ist sehr tapfer von dir.“
Doch tatsächlich habe ich mich niemals tapfer gefühlt und mich auch niemals tapfer fühlen müssen, um mein innerstes zu zeigen, weil diese Menschen mir einfach Sicherheit geboten haben. Gleichzeitig bemerke ich das auch, wenn sich andere mir anvertrauen, dass ich ihnen eine solche Sicherheit biete. Eigentlich ist das schon ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. Beispiele setzen, deshalb auch dieser Text.
Im Film kommt es schließlich zum Happy End. Ich möchte nicht verraten was passiert um es nicht zu spoilen für diejenigen, die ihn vielleicht schauen wollen (komplett auf Youtube zu sehen). Lassen wir also die Welt sein und schaffen uns lieber unsere eigene.
„Për inat të priftit, për inat të botës dhe për qejfin tuaj, ju lidh me martesë. Pa hile.”