Freitag, 27. Februar 2015

Pɘɹspeʞtivɘ



Ich hatte einen Traum. Ich stand auf einer Wiese in einer klaren Sommernacht und schaute in den Himmel.


Es ist erstaunlich wie sehr die Sichtweise auf bestimmte Dinge von Mensch zu Mensch variieren kann. Schaut eine Gruppe von Menschen nachts in den Sternenhimmel, so wird jeder einzelne von ihnen etwas anderes darin sehen. Der eine erfasst die Schönheit des ganzen Himmels, wohingegen sich der andere in die Details der Mondoberfläche verliert. Einer sucht gezielt nach dem Mars, der sich rot leuchtend am Horizont erhebt und ein anderer geht nach und nach alle Sternbilder ab, die er kennt. Und fragt man diese Personen im nachhinein, was sie gesehen haben, so werden alle von etwas anderem Berichten.

Wir nehmen die Welt mit unseren Sinnesorganen wahr. Wir sehen, hören, schmecken und fühlen die Beschaffenheit aller Dinge, doch was passiert wirklich, wenn wir z.B. einen roten Buntstift sehen. Licht trifft auf den Buntstift auf und ein Teil davon wird absorbiert, wohingegen ein anderer Teil, in diesem Fall rot, reflektiert wird. Dieses Licht nehmen wir nun über das Auge auf, dabei passiert es die Linse, wo seine Orientierung umgekehrt wird und trifft dann, quasi kopfüber, auf die Netzhaut auf. Hier wird dieses Licht basierend auf Eigenschaften wie Wellenlänge und Intensität in elektrische Signale umgewandelt, die über den Sehnerv zum Gehirn landen, wo dann die Daten interpretiert werden und wir den Stift als solchen erkennen. 
Somit ist alles, was wir sehen das Ergebnis der im Gehirn prozessierten Rohdaten, die über den oben beschriebenen Weg dorthin gelangen. Wie aber weiß das Gehirn, wie eine bestimmte Farbe auszusehen hat? Wir lernen die Farben schon in unserer Kindheit. Rot, Blau, Grün, Gelb. Und egal wo man auch hingeht, jede Farbe wird immer als diese erkannt werden. Doch kann man sich hier sicher sein, dass die Farbe, die ich sehe auch für jemand anderen so aussieht? Was für mich Rot ist, kann für jemand anderen Grün erscheinen, er kennt es jedoch als Rot und wird auch Rot dazu sagen. Schließlich ist all das was wir sehen lediglich die Interpretation in unserem Gehirn.


Man konnte die gesamte Milchstraße sehen und es erfüllte mich mit Freude.


Was bei einer einfachen Farbe so kompliziert ist, wird bei Betrachtung von komplexeren Sachverhalten noch viel schwerer. Bleiben wir erstmal nur beim Sehen. Wir schauen in einen Spiegel. Wir sehen uns selbst. In Wirklichkeit sehen wir unsere Reflexion. Spiegelverkehrt. Links ist für mein Spiegel-Ich Rechts. Und sein Linkst ist mein Rechts. Hier wird die Richtung des Lichtes umgekehrt. Und obwohl alles umgekehrt ist, erkennt man sich dennoch im Spiegel wieder. So wie man sich selbst auch auf Fotos wiedererkennen würde, auch wenn hier die Darstellung im Vergleich zum Spiegel wieder eine andere Richtung hat. Dem Gehirn ist dies jedoch relativ egal und in beiden Fällen erkennt man sich selbst.

Interpretation der Eindrücke. Doch wie genau läuft diese Interpretation ab und kann sie in irgendeiner Weise beeinflusst werden? Und daraus resultiert letztendlich die Frage, was denn dann die Wirklichkeit ist.

Albert Hofmann, der Entdecker des LSD schreibt hierzu in seinem Buch LSD-mein Sorgenkind folgendes: "Die wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus den LSD-Versuchen gewann, sind Einsichten in das Wesen der Wirklichkeit. Bis dahin hatte ich geglaubt, dass es nur ein einziges wahres Bild der Welt, das, was man als die »Wirklichkeit« bezeichnet, gäbe. Die Erfahrungen im LSD-Rausch, in dem fremde Welten als ebenso wirklich erlebt werden wie die Alltagswirklichkeit, zeigten, dass die Wirklichkeit keineswegs etwas Absolutes, Feststehendes ist, sondern dass ihr Bild und Erleben durch einen veränderten Bewusstseinszustand des Betrachters verändert werden."

Alles kann auf diese Wahrnehmung Einfluss nehmen, seien es Erfahrungen, irgendwelche Substanzen, ja sogar unsere Ängste. Ein depressiver Mensch wird überwiegend das Negative potenzieren, wohingegen ein frisch verliebter überall nur Blumen und Regenbögen sehen wird. Und damit wir jemand anderem klar machen können, was wir denn für uns als Wirklichkeit erkennen, bedienen wir uns einem sehr praktischen Werkzeug. Der Sprache.


Ich drehte mich um und rief: "Sieh mal!"


"Ich habe einen roten Stift in der Hand." Diese Aussage ist sehr leicht zu bestätigen, man schaut auf die Hand und erkennt einen roten Stift. Doch wie sieht es aus mit abstrakten Ideen. "Der DAX ist heute um 1,4% gefallen." Im Hintergrund erkenne ich einen tollen Graphen, aus dem ich als Laie aber nicht unbedingt schlau werde, dennoch glaube ich mal dem Kerl im Fernseher, weil er einen schönen Anzug trägt und zu wissen scheint, was er da sagt. 
Aber was ist wenn plötzlich eine Person vor uns steht und drei ganz bestimmte Worte sagt? "Ich liebe dich!" Jetzt wird es schwer. Jetzt sehen wir weder eine Farbe noch eine schöne Grafik. Jetzt sprechen wir über ein Gefühl. Liebe. Unser Herz schlägt schneller, unsere Beine zittern. Und was zur Hölle ist dieses Gefühl in der Magengrube? Ich spüre es, kann es dennoch nicht messen. Doch es treibt mich an meinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und diese Worte zu sagen.
Und was wir für diese Liebe nicht alles tun können. Wir besteigen Berge für sie. Legen hunderte, sogar tausende Kilometer zurück. Geben vielleicht sogar unser Leben dafür. Doch was jemand aus reiner und aufrichtiger Liebe tut, erscheint für einen außenstehenden vielleicht als Obsession. Es ist das schönste ganze Nächte wach auf einer Wiese zu liegen und sich zu unterhalten; es ist krankhaft jeden Tag mit nur zwei Stunden Schlaf aus zu kommen. Man kann nicht oft genug zu den Menschen fahren, die einem am Herzen liegen; mit dem ganzen Geld könnte man sich eine Menge neuer Sachen zulegen. Man verschenkt Teile von Sich, Sachen die für einen selbst sehr viel Bedeutung und Geschichte haben; für den anderen ist es nur wertloser Müll.
Alles hat mindestens zwei Seiten, die eigene Sicht der Dinge und die Sicht des Beobachters. Jeder für sich weiß, was seine Wirklichkeit ist, doch so macht sich auch jeder außenstehende ein Bild seiner Realität. Ist das Dreieck oben schwarz oder weiß? Welcher Teil bin ich, welcher Teil ist der Beobachter. Was wenn meine Wirklichkeit plötzlich dementiert wird? Was wenn das, was ich erlebt und getan habe plötzlich von dritten wiederlegt oder geleugnet wird? Wenn einem Beweise aufgezeigt werden, dass die eigene Wirklichkeit gar nicht so ist? Oder wenn es am Schluss Aussage gegen Aussage steht? Was wenn man unterstellt bekommt, dass man unter Realitätsverlust leidet? Wie will man versuchen die anderen vom Gegenteil zu überzeugen?
Gibt es nicht oft genug fälle von Menschen, die unschuldig verurteilt wurden, nur weil alle vorliegenden Beweise gegen sie sprachen. Wie verhält man sich in so einer Situation als Angeklagter, wie als Kläger? Auch Logik hat seine Grenzen. Manchmal erkennt man Sachverhalte intuitiv sofort und zerstört dann diese Erkenntnis durch logische Trugschlüsse. Wie zeige ich jemandem, was ich tatsächlich in meinem Innersten habe, wenn ich mich nur sowas beschränktem wie Sprache bedienen kann?

Jeder für sich muss mit sich selbst ehrlich bleiben. Jeder muss vertrauen in seine eigene Sichtweise der Dinge haben und sich danach richten. Denn übernimmt man erst einmal die Sicht eines Außenstehenden als seine eigene Wirklichkeit, kann es schnell passieren, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Vertrauen. Vertrauen in die eigene Wirklichkeit und Vertrauen auf die Sicht anderer. Beides muss in Harmonie sein, damit man der Wirklichkeit am nächsten kommen kann. Und jeder für sich sollte offen bleiben für die Sicht anderer, sodass es nicht dazu kommt, dass man plötzlich verurteilt wird für etwas, was nicht Wirklichkeit ist. Manchmal spüren wir die Wirklichkeit intuitiv und können sie gar nicht erst logisch erfassen.

"The intuitive mind is a sacred gift and the rational mind is a faithful servant. We have created a society that honors the servant and has forgotten the gift." - Albert Einstein



Und da stand sie, barfuß, in einem weißen Sommerkleid. Sie schaute mich an und ihr Lächeln überstrahlte das Licht der Sterne.