Mittwoch, 20. Mai 2020

Schicksal


Die Nacht des Schicksals. Lailat al-Qadr. Allein der Name birgt schon etwas mystisches in sich.

Gibt man den Begriff in Google, oder besser noch gleich auf Youtube ein, so erhält man eine Liste von vielen bärtigen Männern, die über diese Nacht sprechen. Dabei wird generell angesprochen, was diese Nacht ist, wann sie ist und wie man sie erkennt, man muss sie nämlich suchen. Ich mochte das Konzept schon immer, also warum nicht darüber schreiben?

In der 97. Sure des Korans (al-Qadr) wird, wie der Name schon sagt, diese Nacht behandelt. Es gibt Muslime, die sich gerne mit zahlen befassen, in diesem Fall ist die Quersumme von 97, 9 + 7 = 13, eine heilige Zahl. Mysteriös. Es geht aber noch besser, addiert man nämlich die Anzahl der Verse dazu, 97 + 5 = 102, dann ist die Quersumme 3(!!), eine noch stärkere magische Zahl. Aber den Weg möchte ich nicht gehen.

In der Sure wird erklärt, dass in dieser Nacht der Koran überliefert wurde (jedenfalls die ersten Verse) und es heißt: „Die Nacht von Al-Qadr ist besser als tausend Monate.“ [97:3] und auch damit befassen sich sehr viele mathematische Muslime. Und zwar habe ich es miterlebt, wie mit Taschenrechner die höchstmögliche Menge an guten Taten in dieser Nacht, berechnet wurde. Sehr kapitalistisch, eine Nacht erwischen und dann auf ins Paradies. Rein mathematisch macht es auch Sinn.

 

Aber wie findet man diese Nacht und woran erkennt man sie?

 

In der Überlieferung heißt es, dem Propheten wurde das Wissen über diese Nacht offenbart, doch als er seiner Gemeinde gerade die Nachricht übermitteln wollte, sah er zwei Leute im Streit und das Wissen entschwand ihm.

Was man weiß ist, dass sie in den letzten 10 Tagen des Fastenmonats Ramadan liegt. Deshalb verbringen manche Menschen diese Tage ausschließlich in der Moschee im Gottesdienst. Schrotschussprinzip, eine dieser Nächte muss es ja sein.

Andere suchen bewusst danach. So sagt man, dass sich in dieser Nacht die Himmel (ja plural) öffnen und die Engel herabschreiten. Man findet tatsächlich Videos von Menschen, die auf ihre Dächer steigen und den Himmel filmen. Und am Ende heißt es einfach, es war wohl nicht diese Nacht. Was für ein Wunder.

 

Aber warum schreibe ich plötzlich diesen religiös inspirierten Text, der so gar nicht zu meinen anderen Texten hier passt? Na, weil es interessant ist. Und tatsächlich einen großen Teil meines Lebens ausmacht. Weiterlesen, es wird am Ende schon noch Sinn machen. Hoffentlich.

 

Schicksal. Bleiben wir mal einfach bei diesem Wort. Bestimmung, Fügung, Vorsehung, alles Begriffe, die etwas Feststehendes beschreiben. Determinismus.

Unvereinbar mit unserem Konzept von freiem Willen. Und doch kann ich nicht beeinflussen, dass mich ein Vollidiot stockbesoffen am Zebrastreifen überfährt.

Es war wohl Schicksal. So wie es auch Schicksal gewesen wäre, wenn ich auf meine Freundin gehört und länger auf der Party geblieben wäre. Dann wäre ich nicht am Zebrastreifen gewesen und nicht zwei Stunden später im Krankenhaus gestorben.

Und ist es Schicksal, wenn sich ein von Depressionen geplagter Mensch das Leben nimmt? Manche antworten auch darauf mit ja. Warum ist dieser Selbstmord dann eine Sünde?

Je näher ich an die Grenzen ging und extremere Beispiele wählt, desto schwächer werden die Erklärungen, die ich bekam, was vorherbestimmt ist und was nicht. Also löste ich mich davon ab, schließlich konnte ich nicht blind einer Ideologie folgen, die ich mir selbst widerlegt hatte. Ich war in gewissem Maße schlichtweg darüber hinausgewachsen.

 

Bestimmung. Ich konnte niemals aufhören zu suchen. Auf einer Zugfahrt begegnete ich einem Pfarrer. Ich gab ihm lediglich eine Auskunft, wie er am besten zu seinem Ziel kommen würde, da unser Zug Verspätung hatte und er seinen Anschluss nicht erreichte. Er setzte sich neben mich und sprach im ersten Satz das aus, was mich plagte: „Göttliche Fügung.“

Ich wollte ihm widersprechen, doch die Selbstsicherheit, die er bei dem Thema zeigte, ließ mich innehalten. Eigentlich wollte ich in Ruhe mein Buch lesen. Ich hätte ihm einfach nicht antworten brauchen, als er seinen Sitznachbarn um Hilfe gebeten hatte, doch ich tat es. Irgendwas schien mich dazu getrieben zu haben. Ein Engpass in einem Bündel von möglichen Zeitlinien. Göttliche Fügung.

Ein schöner Gedanke, wenn eine höhere Macht zwei Menschen zusammenbringt, um letztlich beiden etwas Positives zu geben.

 

Die Nacht des Schicksals ist spirituell gesehen eben mehr als nur Rechenbespiele. In dieser Nacht wird das Schicksal neu geschrieben, jedenfalls für diejenigen, die sich auch drum bemühen. Sie stellt einen Wendepunkt dar, oder besser noch eine Bruchstelle, an der etwas Neues beginnen kann. So man es möchte. Das schöne ist, dass es vom Individuum selbst ausgehen muss und nicht passiv von außen passiert. Es setzt aber auch etwas Bestimmtes voraus: Reflektion.

 

Und hier in diesem dunklen Zimmer sitzend frage ich mich, was ich überhaupt ändern möchte und wie es zu meiner aktuellen Situation kam. Ich nehme meine Wünsche und webe sie in Gebete ein, schicke sie hinaus in die Unendlichkeit und zurück kommt nichts. Doch auch dieses Nichts bedeutet so viel, denn es zeigt mir, wo ich meine Antworten finden kann.

 

Abgesehen von meiner Krankheit, die mich in bestimmten Situationen einfach verlässlich zur Einkehr gezwungener Siedler eine Epoche, in der nicht einmal der große böse Wolf einen dreieinhalb Meter schweren Bewusstseinsverlust wiedersprechen zu wollen, nur um einmal mehr ins Ziel der Reise waren die Rückkehr und das Vorhandensein einer kleinen kleiner kleine Ameise.

Abgesehen von meiner Krankheit, durch die ich in bestimmten Situationen den Bezug zur Realität verliere und in dieser Verwirrung und Verzweiflung meist die Menschen verletze, die mir wichtig sind, gibt es noch einiges was ich jetzt in diesem mentalen Spiegel vor mir sehe.

 

Ich vertraue Menschen viel zu sehr, sehe immer nur das beste in ihnen und schließe Menschen viel zu schnell ins Herz. Vielmehr noch, ich liebe zu sehr. Und es fällt immer wieder auf mich zurück und ich schade mir selbst damit am meisten.

Ich mache andere Menschen gerne glücklich und es sind nicht nur kleine Geschenke, wie ein Buch oder ein Bild, sondern auch etliche schaflose Nächte, um ein Geburtstagsgeschenk fertigzustellen oder Umwege, die ich mit ihnen fahre. Es ist so viel Zeit und so viel Energie investiert in Menschen, die einige Monate später nicht mehr Teil meines Lebens sein können.

 

„Ambivalent“ nannte mich meine Exfreundin damals. Jetzt muss ich darüber lachen, denn besser kann ich es auch nicht beschreiben. Aber der Grund dafür liegt nicht darin, dass ich ihr etwas vorgemacht habe, vorgegeben habe ein guter Mensch zu sein und etwas für sie zu empfinden und sich dann das Gegenteil gezeigt hat. Ihre Beobachtung war richtig, ich war gespalten, aber ihre Schlussfolgerung war die falsche. Sie wusste nämlich nichts von meiner Psyche.

Doch wie ändere ich das? Wenn ich jetzt Menschen davon erzähle, sind die meisten trotzdem nach der ersten Manie weg.

 

Determinismus. Es ist letztendlich genetisch. Ich nehme Lithium um es zu stabilisieren, mache Therapie, Meditation, umgebe mich mit Menschen, die es verstehen und mich trotz allem unterstützen. Und doch bricht es mir immer wieder das Herz.

Meine Lösung war es, mich emotional von allen und allem zu distanzieren. Dann träumte ich und traf die Person aus dem Traum ein Jahr später und ich lernte etwas sehr Schönes.

 

Wenn ich etwas ändern möchte, dann muss die erste Veränderung sein, dass ich alles akzeptiere. Das deterministische und das variable. Mein Wesen kann ich schlecht ändern und den anderen auch nicht. Und das ist auch gar nicht notwendig. Veränderung durch Akzeptanz der Tatsache, dass nichts geändert werden muss.

Ich habe viele wirklich wichtige Menschen vernachlässigt, indem ich anderen Personen viel mehr Wichtigkeit zugesprochen habe, weil ich in einem Verwirrten Zustand irgendwelche Hirngespinste von Schicksal und Fügung hatte. Und heute noch habe ich solche Momente, wo all diese Illusionen zurückprasseln und mich so stark packen, dass ich vor Sehnsucht fast sterben möchte. Doch wichtiger sind diejenigen, die bei mir sind.

 

Es gibt bestimmte Sachen, die man niemals ändern kann und vieles, was ich selbst immer als negativ empfunden habe, ist es in Wirklichkeit gar nicht. Menschen, die mich verstehen, verstehen auch das. Wenn ich nach dem Veröffentlichen eines Videos plötzlich in paranoide Gedankengänge verfalle und keinem Lob mehr glauben kann, mich isoliere und andere einfach abschneide, dann verstehen das die richtigen. Wenn ich aus der Realität falle und alle anfeinde, stehen immer noch Menschen zu mir.

 

Schicksal ist die Familie, in die wir geboren und die Menschen, die zu Familie werden. Es braucht lediglich einen anderen Blickwinkel und wenn sich nicht die Himmel öffnen in dieser Nacht, dann vielleicht die Herzen derjenigen, die Lieben und oft und gerne viel zu viel davon weiter geben.

 

Ich war ein Suchender und bin es immer noch, aber ich habe aufgehört, die Bücher zu fragen und die Sterne – und angefangen, auf die Lehren meiner Seele zu hören. - Rumi



An die paar Leute, die sich immer wieder die Zeit nehmen, diese Texte zu lesen: Danke. Und gleichzeitig auch eine Entschuldigung, weil ich das Gefühl habe mich in den letzten Texten immer wieder mit dem gleichen Thema beschäftigt, mich immer weiter im Kreis gedreht zu haben. Ich habe keinen wirklichen Plan, wohin dieser Blog führen wird, er ist nur ein kleines Fenster in meine Welt und das ist nunmal die Welt momentan. Langsamer aber stetiger Wandel. Bleibt alle gesund!