Samstag, 5. Dezember 2020

Dekonstruktion

 


 

„Deine Geschichte ist niederschreibenswert“, sagte sie.

Ich musste lachen, schließlich gab es schon einen Text dazu, in dem auch dieser eine Moment geschildert wird:

 

Wir stehen im Laderaum eines kleinen Transporters, so einer, den man sich im Möbelhaus mieten kann. Wir, das sind meine zwei Cousins, deren Vater am Tag zuvor verstorben ist, einer ihrer Cousins (mütterlicherseits) und ich. Und ein Sarg zwischen uns.

Der Friedhof liegt 20 min weit entfernt, kurz vor der Grenze zu Kosova, einmal rechts abfahren auf einen ungepflasterten Weg und schon ist man da.

Der Wagen hält, draußen tummeln sich Männer, reden laut, sehr laut, so wie es alle Männer im Balkan tun. In einem Aufbrausen, was dem Wegfliegen eines Vogelschwarms gleicht, springen alle anderen um mich herum heraus. Auch der Fahrer steigt aus.

Ich möchte meinen Onkel hier nicht alleine zurück lassen und doch wallt Wut in mir auf, über diese Respektlosigkeit, die sie ihm erweisen. Bis sich eine kleine Erinnerung Platz verschafft. Mein Onkel, ebendieser, der jetzt hier liegt, hat immer nur gelacht in solchen Situationen. Und so knie ich mich neben ihn, lege eine Hand auf den schlichten Holzkasten und lache.

 

Den Text, bzw. das Notizbuch, in dem er ist, konnte ich nicht mehr finden. Ich versuchte ihn zu rekonstruieren, schilderte den Tag, meine Gedanken all das, was sich ereignet hatte, innen und außen. Versetzte das Ganze mit unnötigen Fakten und am Ende war er so schlecht, dass ich meinen Monitor zusammenknüllen, wegwerfen und neu anfangen musste.

Der Neuanfang kostete mich einen weiteren Monitor.

 

Deshalb nun die Dekonstruktion eines Textes. Beginnen wir mit dem Ende:

 

Nach neun Jahren in einem anderen Land, nach neun langen Jahren hieß es endlich, wir können unsere Heimat besuchen. Nach neun Jahren saß ich ihm gegenüber, einem Unbekannten, den ich aber auf so vielen Fotos und Videoaufnahmen gesehen hatte. Er sei mein Lieblingsonkel gewesen, sagte meine Mutter immer. Ich schaute ihn an und merkte, dass er genauso verloren schien, wie ich, genauso wenig mit mir anzufangen wusste, wie ich mit ihm.

Am nächsten Tag stand er vor der Tür. „Najo, hajde.“, ein einfaches „komm“, auf dieser seltsamen Weise, halb lachend und brüllend laut. Also zog ich mir die Stiefel an und folgte ihm zu seinem Auto. Wir redeten kaum auf der Fahrt, er zeigte mir ein paar Gebäude. Das alte Haus, in dem sie alle aufgewachsen waren, die Ruine einer Moschee, die beim großen Erdbeben zerstört wurde, schien aber schnell zu merken, dass ich zu sehr damit beschäftigt war die ganzen Eindrücke, die gesamte Stadt in mich aufzusaugen und schwieg.

Er parkte das Auto, wir stiegen aus und liefen durch enge Gassen bis zu einem kleinen Restaurant aus dessen Schornstein weißer Rauch stiegt. Er bestellte mir einen Hamburger. So groß wie mein Gesicht, gefüllt mit Fritten auf der einen Seite, Salat auf der anderen, Ketchup und hausgemachte Mayo, mittendrin das Fleisch. Er selbst bestellte nichts.

Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas so leckeres gegessen. Wir gingen gleich raus, ich mit dem Warmen Burger in der Hand, schaute hinauf und bemerkte, dass es schneite. Der erste Schnee des Jahres und der erste Schnee in meiner Heimat. Ich war angekommen.

 

Ich konnte diesen Ort niemals wiederfinden. Wahrscheinlich bin ich schon hunderte Male daran vorbei gelaufen, doch ist es niemals dieser Ort aus der Erinnerung, niemals diese eine Erinnerung, die mich nach seinem Tod dazu bewegte einen Text zu schreiben. Sie nieder zu schreiben, als der große Moment, die perfekte Erinnerung.

 

Sie brachte mich dazu zu graben. Mit einem einfach „schreib doch mal“, oder so ähnlich. Sachen auszugraben, die lange Zeit einfach nur unter der Oberfläche geschlummert haben. Was man nicht sieht, schadet auch nicht, oder so ähnlich.

Was sich beim Schreiben jedoch zeigt, ist dass vieles belastend sein kann. Und die Tatsache, dass ich darüber schreiben möchte, wahrscheinlich ein Hinweis darauf, dass es raus muss.

 

Das Schnippen eines behandschuhten Fingers vor meinem Gesicht, holte mich wieder in die Realität zurück. „Geht’s dir gut?“, fragte er, ich nickte, hielt den Duschkopf wieder höher, dahin, wo er ihn haben wollte und fragte mich, warum er als einziger Handschuhe trägt.

Es waren die Spuren, die mich aus der Realität fallen ließen. Schwarz verfärbte Fingerkuppen, die tief in die Haut auf der Brust zu graben schienen, die roten Flecken, wahrscheinlich vom Defibrillator verursacht und verfärbte Brustbein.

 

Das ist die Story. Ende. Keiner braucht Details darüber, ob ich mit einem Politiker im Flugzeug saß oder wie man von einer Hauptstadt in die nächste gefahren ist. Nicht zu der Geschichte, jedenfalls.

 

Es war die Leichenstarre, auf die ich nicht vorbereitet war, die in meinem Kopf einen Schutzmechanismus in Gang setzte, der mich letztlich selbst erstarren ließ. Und nach jedem Rückschlag scheine ich wieder in eine solche Starre zu verfallen.

Was damals das Fingerschnippen war, war jetzt diese einfache Frage nach dem Schreiben. Und ein Gefühl, dass sich eingeschlichen hatte, dass aber nicht benannt werden konnte, bis das Wort endlich im Raum stand. Schwerelosigkeit.

Samstag, 26. September 2020

Ouverture

In seiner Klarheit erkannte er, dass sein Zustand nicht auswegslos war. Er war nicht in der Unterwelt, wie er dachte, nein, es war lediglich eine Zwischenstation. Keine Ebene des Turms, sondern nur eine Ruine aus längst vergangener Zeit, inmitten einer schier endlosen Wüste. Die Welt hatte sich weiterbewegt, doch zu seinem erstaunen, hatte er sich mit ihr mitbewegt.

Seine Wüste, kein Mann in Schwarz und auch kein Roter König. Nur er, allein. Und eine Wahrheit.

Er fühlte sich gut in dieser Einsamkeit, er fühlte sich mehr wie er selbst. Die Wüste stellte für ihn keine Trostlosigkeit mehr dar, sondern unendliche Möglichkeiten eine neue Welt zu schaffen. Seine Welt.


Geschichten sind schön und gut, aber die Realität macht dann doch mehr Spaß.

Donnerstag, 2. Juli 2020

03:07

Die Tage werden länger
Und ich stehe still
So still dass die Zeit an mir vorbei
Fließt
Wie zähes Blut
Das Salz drückt gegen die Haut
Und er gegen den Verstand
Doch bin ich selbst
Zeitlos
Gefangen in diesem Zyklus
Mit Gitterstäben aus purem, goldenem Schmerz
Und kaum ein Satzzeichen
Kann ich setzen 

Wenn du von Freundschaft sprichst
Freund
Verstehst du nicht Freundschaft
Nicht gespalten sein
Unverständnis gegenüber dem Verstand eines anderen
Und mich
Gefangen auf der falschen Seite des Spiegels
Nur das Bellen eines Hundes zu hören
Mehr nicht 

Blut regnet vom Himmel
Ich bade darin
Spüre es auf meiner Haut
Schmecke das Salz
Fühle mich frei
Doch die Tage werden länger
Die Schatten werden echter
Und ich werde zu ihm
Ich bin.

Samstag, 27. Juni 2020

Burrat nuk punojnë, se të përqesh bota

Ich sitze im Auto, auf dem Weg von Hamburg zurück nach Köln. Das Radio funktioniert nicht, weil die vom Händler den Code mehrfach falsch eingegeben haben und eine erneute Eingabe erst nach einer Stunde möglich ist. Zunächst lausche ich einfach dem Brummen des Motors und den Geräuschen dieser Stadt, die bei geöffnetem Fenster an mir vorbei rauschen. Auf der Autobahn schließe ich das Fenster, summe Melodien, die mir durch den Kopf schwirren und singe schließlich einfach selbst, um die dröhnende Stille zu übertönen. „Ku janë ato fusha, ku ato kaçuba; Vajza të bukura, si n’vendin tim kund nuk ka“, singe ich gemeinsam mit Muharrem Qena und anschließend „Oh moj ti me sytë e zi, me shikime si rrufe, falmi sytë që më sheh, se po s’erdhe do te vij.” ‘O du mit den schwarzen Augen’, dieses klassische Albanische Schönheitsideal, das Sabri Fejzullahu irgendwann in den späten 70ern oder Anfang der 80er besungen hat.
Als nächstes folgt
“Kur të jesh mërzitur shumë“, ein Lied, das auf dem gleichnamigen Gedicht von Dritero Agolli beruht und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ich plötzlich in der Poesie lande.

Fan Noli, Anës Lumenjve. „Arratisur, syrgjynosur, rraskapitur dhe katosur; po vajton pa funt, pa shpresë...”, frustriert tippe ich den Code ins Radio und wider Erwarten erwacht es zum Leben. Der erste Sender, nachdem ich den Suchlauf starte, ist das Deutschlandradio. Kultur. Ich will gerade weiter schalten, weil ich Musik brauche, als die Moderatorin plötzlich ein Wort spricht, dass mich mit dem Finger am Knopf innehalten lässt: „Albanien”.

Ein Land an der Schwelle zum EU-Beitritt. Die Verhandlungen dazu wären im Gange, doch verweist die Reporterin in dem Beitrag auf einen Kontrast hin, etwas, dass man in Europa nicht erwarten würde: Frauen, die dazu genötigt werden, ihre Kinder abzutreiben, nur weil sie ein Mädchen erwarten.

Der Druck auf diese Frauen gehe meist von der Familie des Mannes aus, oder vom Mann selbst. Die Frauen, seien meist nicht in der Lage sich zu widersetzen, müssten sonst die Familie verlassen und seien nicht in der Lage sich selbstständig zu versorgen. Die Männer wüchsen auf in diesem System und können sich nicht gegen die gesellschaftliche Norm stellen, würden dann als unmännlich gelten.

Also werden Mädchen abgetrieben, weil man einen Jungen braucht. Sogar bis zu dem Punkt, dass Frauen nach der 12. Schwangerschaftswoche irgendwelche Medikamente gegen Magenbeschwerden nehmen, um eine Fehlgeburt einzuleiten. Eine Abtreibung nach 12 Wochen wäre nach albanischem Recht illegal.

„Burrë” dieser idealisierte Begriff, der eben nicht nur ‚Mann‘ bedeuten, sondern auch so viel mehr in sich beinhalten soll. Er steht für Tapferkeit, Ehrenhaftigkeit und Tugendhaftigkeit. Jedenfalls wurde mir das immer so erzählt. Doch wie sieht die Realität davon gerade hier in Deutschland unter albanischen Männern aus?

„A po qin najsen?“ Ich war gerade mal 16 oder 17, saß auf der Rückbank direkt hinter meinem Vater, der uns zu einer Beerdigung fuhr, zu uns zugestiegen waren zwei Verwandte. Nach der Begrüßung beugte sich der, der mit mir hinten saß hinüber, er ist ungefähr zehn Jahre älter als ich, und stellte mir diese Frage, die übersetzt lautet: „Fickst du irgendwas?“

Hätte ich damals den Schneid und das Rückgrat besessen, die ich jetzt eine halbe Ewigkeit später habe, hätte ich wohl mit „Ja, deine Mutter“ geantwortet, aber damals habe ich es dabei belassen.

Studium, andere Stadt, unbekannte Menschen. Ich lernte einen anderen Studenten in der dortigen albanischen Moschee kennen. In der Straßenbahn, nachdem ich ihm erzählte, dass ich alleine wohne, fragte er mich, wie viele Frauen ich denn schon dort gehabt hätte. Quoten, die erfüllt werden müssen, statistische Erhebungen, die ihm wichtig waren, ich wunderte mich weshalb er mir diese Frage stellte, obwohl wir uns nicht mal ne halbe Stunde lang kannten. Ich sagte ihm, ich müsse die Kerben an meinem Bett zählen, die ich nach jeder erlegten Beute reinritze, und würde dann auf ihn zurückkommen.

Ein ganzes Buch mit solchen Beispielen, könnte ich mit der Zeit füllen, in der ich in einem Kiosk gearbeitet habe, dessen Besitzer Albaner war und der deswegen stark von Albanern frequentiert wurde. Ich möchte nur ein Beispiel daraus nehmen:
Ich stehe hinter der Kasse, neben mir hinter der Theke sitzen noch der Sohn des Besitzers mit einem Bauarbeiter. Die zwei könnten Brüder sein, denn neben ihrem Aussehen und der Kleidung, gleichen sie sich darin, wie schmierig sie wirken. Es hatte sich eine kleine Schlange gebildet und ich war gerade dabei einige Pakete für einen Kunden einzuscannen, als ein junges Mädchen, mit einem Päckchen in der Hand, hereinkam. Sofort verstummte das Gespräch der beiden Männer neben mir. Lautstark verkündete der eine auf Albanisch, was er mit ihr anstellen würde und der andere setzte mit ein, indem er sehr bildhaft beschrieb auf welche Weise er welches Körperteil von ihr missbrauchen würde. Dabei schien sich keiner der beiden daran zu stören, dass sie wahrscheinlich noch minderjährig war. Zudem war sie albanisch, verstand jedes Wort, lief knallrot an, drehte sich um und floh aus dem Laden.

Objektifizierung von Frauen, Klassische Rollenverteilungen, all das wurde in der Reportage als etwas unvorstellbares in der europäischen Gesellschaft dargestellt, etwas, dass es nur in dem tausende Kilometer weit entfernten Albanien geben könne.

Natürlich kann man jetzt damit argumentieren, dass solches Verhalten allgemein unter Männern verbreitet sei. Weiter kann man sagen, dass es eigentlich nur Machogehabe sei, harmlose Worte und dass keiner wirklich zu schaden komme dadurch. Ich habe alle möglichen Argumente schon gehört. Meist bemerke ich die unterschiede im Verhalten der anderen, sobald Dritte ins Spiel kommen.

Ich sitze mit einem Freund in einem Café. Zwar kann ich mit ihm kaum über Kunst oder Kultur reden, doch interessiert er sich auch für Wissenschaft und Technik und wenn uns da die Gespräche ausgehen sollten, dann bleibt immer noch genug Politik übrig. Ein weiterer Albaner stößt zu uns, lacht darüber, dass ich ihm nicht die Hand schütteln will, weil wir immer noch Corona Bestimmungen haben. (Ich wurde in dieser Zeit sehr oft ausgelacht deswegen, weil ich Angst hätte, der Virus nicht echt sei etc. Auch so ein klassisches unmännliches Attribut, das Regeln Befolgen. Deshalb benutzen echte albanische Männer auch keine Blinker in ihren Audis und BMWs (echte albanische Männerautos).) So sitze ich also an dem Tisch, links mein Freund, rechts der andere und langweile mich plötzlich, weil es in dem Gespräch nur noch darum geht, sich mit seinen Habseligkeiten zu loben. Das neueste Handy, das beste Auto und viele andere Superlative.
„Kqyr, kqyr!“ – „Schau, schau!“ Und dabei spüre ich noch, wie an meiner Schulter gerüttelt wird. Ich habe kurz das Bild meines Neffen und meiner Nichte vor Augen, wenn sie mir total begeistert etwas Neues zeigen wollen, was mir nicht entgehen darf. Der eine im Stuhl umgedreht und der andere mit ausgefahrenen Augen starren sie an, als sei sie ein weiteres dieser tollen Objekte aus dem vorangehenden Gespräch. Sie sieht mich an und ich entgegne den Blick einer Frau, eines Menschen, und schäme mich in dieser Situation zu sein.

Ein Großteil dieses Verhaltens ist Erziehung. Männer gelten als besser, als überlegen. Kritisiert man einen dieser Männer, dann sind sie sehr schnell angepisst, schneller noch, wenn sie tatsächlich Schuld an etwas haben sollten. Schuld eingestehen können ist auch eine Eigenschaft, die dem albanischen Ideal eines Mannes entsprechen sollte, doch hat ein solcher heutzutage einfach nie Schuld. Wie viele solcher Männer mir doch erzählt haben, wie sie ihre Frauen betrogen haben, wo man sich die besten Prostituierten (natürlich nutzen sie andere Wörter dafür) besorgen kann und welche Position denn letztlich die beste ist und was man tun muss um ihnen zu zeigen, wie toll man doch ist; den Prostituierten, nicht den Frauen daheim.

Pause. Einmal durchatmen. Der Titel dieses Textes stammt aus dem Film „Përrallë nga e kaluara“, eine Verfilmung der Komödie „14 vjeç dhëndërr“ von A. Z. Çajupi, aus dem Jahre 1987. Übersetzt lautet es „Männer arbeiten nicht, sonst lacht die Welt dich aus“ und ist die Antwort des 14-jährigen Gjinos auf die Aufforderung seiner doppelt so alten Ehefrau Marigona, ihr die Steine wegzuräumen, während sie das Feld pflügt. Und diese Motive ziehen sich durch den gesamten Film. Zum einen die Angst davor, wie das Umfeld, im Film als „bota“ – die Welt bezeichnet, über einen urteilt, zum anderen die klar strukturierten Geschlechterrollen, die vor allem von der Mutter an den Sohn weitergegeben werden. Schließlich ist er jetzt ein Mann.

Erziehung.

Ich sitze bei Verwandten, das leere Glas auf dem Tisch wird von den spielenden Kindern umgeworfen, also hebe ich es auf und gebe es dem ältesten Sohn, damit er es in die Küche bringen kann. Sofort protestiert die Großmutter, dass er das nicht machen dürfe, weil er ein Junge sei, also stehe ich selbst auf, bringe das Glas in die Küche (als Gast in einem albanischen Haushalt eine Todsünde) und sage ihr: „Gut, dass ich ein Mann bin.“

Erziehung.

„Meine Frau muss Jungfrau sein.“ Wie oft ich diese Worte schon gehört habe. „Ich finde es ekelhaft, wenn sie schon einen Mann gehabt hat.“ Meist importieren sie sich dann die Frauen aus der Heimat. Solche, die entsprechend in ihre Rollen hinein erzogen wurden. Haushalt schmeißen, Kinder gebären, dem Mann dienen. „Wie kannst du ohne Frau alleine leben, wer kocht für dich?“ Auch das höre ich oft.

Die Frau als Mutterersatz. Ich schätze mal, auch diese Männer sind niemals wirklich unabhängig. Ironisch, wo sie sich selbst doch als das Nonplusultra sehen.

Doch die Abhängigkeit vieler Frauen hier ist dann um Vieles extremer als hungern zu müssen, wenn der Partner nicht kochen sollte oder keine saubere Kleidung zum Tragen haben.

Gelegentlich übersetze ich für Albaner. Behördengänge, Arztbesuche, je nachdem was ansteht, versuche ich zu helfen, wenn ich kann. Die Abgründe, die sich einem dabei öffnen können, sind erschreckend.

Ein Mann erzählt mir bei einem Arztbesuch, dass seine Frau ihr Studium abbrechen musste, als sie ihn geheiratet hat. Die Frau, zehn Jahre jünger als er, ist vollkommen in sich zurückgezogen, spricht kaum, antwortet nur, wenn sie etwas gefragt wird. Sie leidet unter Depressionen, verlässt kaum das Haus und wenn, dann mit ihrem Mann. Sie sind miteinander glücklich und lieben sich, aber während er arbeitet, andere Menschen trifft und Freundschaften pflegt, hat sie nur ihn.

Anderer Arztbesuch. Ich erfahre ziemlich heftige Details über die Gesundheit dieser Frau, die kaum ein Wort Deutsch sprechen kann, obwohl sie schon lang genug hier gelebt hat, um ein Mädchen nach dem anderen zur Welt zu bringen. So lange, dass es medizinische bedenken gebe, einen weiteren Versuch zu starten, einen Jungen zu gebären.

Jungen braucht man. Denn nur Männer tragen den Familiennamen weiter und das Blut und was weiß ich noch, Ehre oder sowas bestimmt. Männer sind ja auch die einzigen, die Erben sollen. Frauen gehen aus dem Haus, sobald sie heiraten und gehören dann zu einer anderen Familie. Solche Sprüche darf man sich dann anhören.

Ein albanischer Mann heiratet eine albanische Frau, die in Deutschland aufgewachsen ist. Er verlässt die Heimat, zieht hierher, zeugt eine Tochter mit ihr. Sie leben einige Jahre zusammen, er unterstützt seine Eltern in der Heimat, so wie es viele hier tun, zweigeteilt, zwischen zwei Welten. Dann trennen sie sich. Ich weiß die Gründe nicht, ich will da auch nicht spekulieren. Er heiratet erneut, eine Frau aus der Heimat, bekommt zunächst einen Sohn, dann weitere. Seine Tochter sieht er nicht mehr, stellt auch die Unterhaltszahlungen nach der ersten Geburt ein. Die Frau sehe ich oft, vollbeladen mit Kinderwagen und Kindern und eindeutig überfordert.
Als ich eines Tages vom Wandern mit einer Freundin zurück komme, klingelt vor der Haustür mein Handy. „Hast du Bargeld bei dir? Kannst du meiner Frau vielleicht 50€ vorbeibringen, weil ich jemanden ins Krankenhaus begleiten muss, um seinen Onkel zu besuchen? Ich habe vergessen ihr Geld da zu lassen.“
Also tausche ich Wanderschuhe gegen Sneaker aus und mache mich auf dem Weg. Sie öffnet die Haustür, der Kleinste klammert sich an ihr Bein. Eines dieser klassischen Fotomotive. Ich gebe ihr das Geld, denke mir eigentlich nicht viel bei, weil es jedem mal passieren kann, bis sie mich beschämt ansieht und mir etwas sagt, was mich erst das Ausmaß der Situation realisieren lässt: „Meine Karte funktioniert nicht.“ Wie auch, wenn sie wahrscheinlich gar nicht existiert.

Und so schafft man Abhängigkeit, wo keine zu sein braucht und Misstrauen, wo eigentlich das größte Vertrauen sein sollte. Und im Notfall? Soll die Frau dann Nachbarn belästigen, um den Kindern was zu essen oder ein Medikament bezahlen zu können?

Po bota? Es gibt auch viele Männer, die darunter leiden. Den Blick fortwährend nach außen gerichtet, immer darauf achten, was die Welt sagt, was die anderen machen. Verglichen wird oft unter Albanern. Mir scheint so, dass es nicht mal ums eigene Glück geht, sondern nur darum, nach außen hin zu zeigen, dass man besser ist, oder wenigstens mitziehen kann. Glücklich wirken. Und dann wird Druck ausgeübt. Der Schwiegervater kommt mit der Schwiegertochter nicht zurecht, also muss sich der Sohn von ihr trennen. Als Hure wird sie bezeichnet, Geschichten gesponnen, wie sie ihn betrogen hat. Und unter vier Augen erzählt er mir, wie sehr er sie noch liebt. Stattdessen importiert er einfach eine neue Frau. Die Eltern zufrieden stellen.

Auch ich habe selbst oft genug zu hören bekommen, dass ich doch endlich heiraten solle. Wurde dazu gedrängt irgendwelche Frauen zu treffen, die aus einem anderen Planeten zu sein schienen und zu denen ich niemals Bezug finden konnte. Frauen, die im Leben leider nur das als Erfüllung zu sehen scheinen: Heiraten, Kinder zeugen und mehr auch nicht. „Ich lese gerne Bücher“, sagte mir mal eine und hat wohl nicht erwartet, dass ich mit „welche?“ darauf antworte, denn sie konnte mir nicht mal ein Lieblingsbuch nennen.
„E ki kohen.“ – Es ist Zeit. Das ist das häufigste Argument, abgesehen von denen, die meinen ich bräuchte eine Haushälterin. Aber Zeit wofür eigentlich? Vergisst man dabei nicht eigentlich etwas wesentliches, dass zwischen zwei Menschen existieren sollte, die ein Leben miteinander verbringen wollen?
„Ich möchte endlich Enkelkinder.“ Und die hat meine Mutter auch. Die schönsten, die ich mir jemals vorstellen könnte. Aber eben nicht vom einzigen Sohn.

Bota.

In meiner Welt sind einige erstaunliche Menschen. Solche, die nicht an diesen Strukturen haften wollen, an keinen Strukturen im Allgemeinen. Und von diesen Menschen durfte ich in letzter Zeit vermehrt einen Satz hören: „Das ist sehr tapfer von dir.“

Doch tatsächlich habe ich mich niemals tapfer gefühlt und mich auch niemals tapfer fühlen müssen, um mein innerstes zu zeigen, weil diese Menschen mir einfach Sicherheit geboten haben. Gleichzeitig bemerke ich das auch, wenn sich andere mir anvertrauen, dass ich ihnen eine solche Sicherheit biete. Eigentlich ist das schon ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. Beispiele setzen, deshalb auch dieser Text.

Im Film kommt es schließlich zum Happy End. Ich möchte nicht verraten was passiert um es nicht zu spoilen für diejenigen, die ihn vielleicht schauen wollen (komplett auf Youtube zu sehen). Lassen wir also die Welt sein und schaffen uns lieber unsere eigene.

Për inat të priftit, për inat të botës dhe për qejfin tuaj, ju lidh me martesë. Pa hile.”