Freitag, 16. Dezember 2016

Interlude



Das erste, was mir auffiel: Ich konnte ihr problemlos die Wahrheit sagen. Ich konnte nicht nur, ich musste es auch, aus irgendeinem größeren Grund, den ich bis heute nicht verstehe. Es spielt eigentlich auch keine Rolle.


Das andere waren die Parallelen. Als ich das erste mal glaubte zu lieben, habe ich mir mal Gedanken darüber gemacht, wie leicht es ist, Gemeinsamkeiten vorzutäuschen. “Ich auch!”, diesen Spruch habe ich damals sehr oft gehört. Jahre später habe ich ihn selbst auch sehr oft benutzt.


“Ich bin laktoseintolerant.” - “Ich auch, ich auch!”


Zurück zum Vortäuschen. Es ist schön, wenn man Gemeinsamkeiten hat, man fühlt regelrecht eine Verbundenheit mit dem Gegenüber. Und dies kann man sehr leicht ausnutzen, man sagt einfach “ich auch”. Natürlich kann man sich auch geschickt anstellen, das Gespräch in die richtige Richtung lenken, Erwartungen herausbekommen und diese dann erfüllen. Es unterscheidet sich eigentlich nicht von einem guten Kartentrick. Gedankenlesen, kurze Ablenkung und eine zauberhafte Enthüllung. Und in Wirklichkeit hat man sein Gegenüber die ganze Zeit wie eine Marionette geleitet. Ich bin bisher aber immer nur bei den Zaubertricks geblieben, mehr als das konnte ich nie mit meinem Gewissen vereinbaren.


Bei ihr waren die Parallelen viel subtiler. Kleinigkeiten wie ein Lied zur gleichen Zeit, ein Titel eines Textes und ähnliche Bilder, Ideen, Weltanschauungen.


Und jedes mal fiel es mir auf wie kleine Kieselsteine, die man in einen ruhigen See wirft. Und das, was als kleine konzentrische Ringe auf der spiegelglatten Wasseroberfläche begann, warf bei mir am Ufer meterhohe Wellen.


Echoes


I clearly hear your siren’s call
Over this vast sea of tar and asphalt
I receive your messages
Riding on those underground light streams
I see your wonderful face
In all these electromagnetic waves
Reflected from the sky itself


I want to reach out to you
Touch you, feel you,
Tell you all those things I have inside,
See you, drown in those eyes
And burn in your smile
But there’s a black mirror between us
And all there really is, is my own reflection


Aber mit der Wahrheit ist es heutzutage so eine Sache. Max Frisch hat es eigentlich sehr gut zusammengefasst: "Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand." - Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter

Wahrheit, so scheint mir, ist heutzutage auch gar nicht erwünscht. Man möchte angelogen werden und man möchte auch diese Lügen glauben, obwohl man sich bewusst ist, dass es lügen sind. Das tolle Axe spray bringt Frauen natürlich nicht dazu, hinter einem her zu jagen, und doch kaufen es die meisten Jugendlichen; das neue Sagrotan beseitigt zwar 99,9% aller Bakterien, hilft aber nichts bei Grippe, obwohl es in der Werbung versprochen wird, weil der Grippe Erreger ein Virus ist; die große Liebe finden wir nicht im Supermarkt, auch wenn es von so gut wie allen Ketten irgendwann mal in der Werbung benutzt wurde.
Vielleicht werden dadurch die Lügen erträglicher, die wir uns selbst erzählen.


Könnten wir alle Gedanken lesen, wäre alles viel einfacher. Wir können es nicht, ich jedenfalls kann es nicht (und ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der es nicht kann, sonst würden mir spontan sehr viele peinliche Momente einfallen). Aber wir besitzen ein anderes Mittel zur Gedankenübertragung: Die Sprache. Jedoch, wie oben schon erwähnt, ist sie nicht unbedingt sehr verlässlich. Und manchmal nutzen wir sie einfach gar nicht und ein Dialog wird schnell zur Einbahnstraße und was bleibt ist lediglich ein “bis bald.”


So I'll wait for you and I'll burn
Will I ever see your sweet return,
Or, will I ever learn?


Lover you should’ve come over - Jeff Buckley